In einem Gespräch gibt Richard Burrell, Executive Chairman von Bring Energy, Auskunft über die Wärmenetze, die sein Unternehmen in britischen Grossstädten betreibt. Dabei liegt der Fokus auf dem Ausbau und der Entwicklung der Netze sowie auf der Dekarbonisierung der Energiequellen, die für die Wärme- und Kälteversorgung dieser Netze verwendet werden.

Bring Energy versorgt Menschen und Unternehmen mit nachhaltiger Heizung und Kühlung
über städtische Netze. So steht es auf Ihrer Website. Wie würden Sie Ihr Unternehmen in Ihren eigenen Worten beschreiben?
Unsere Vision ist es, alle unsere Netze, die sich in mehreren britischen Grossstädten befinden, mit Wärme und Kälte zu versorgen, und zwar so, dass das sowohl den dort ansässigen Unternehmen als auch den dort lebenden Einwohnerinnen und Einwohnern zugutekommt. Wir haben im ganzen Land, von Edinburgh über Newcastle bis nach Birmingham, Coventry, Leicester und Southampton sowie an Orten in London wie dem Queen Elizabeth Olympic Park und der Battersea Power Station eine grosse Präsenz. Unsere Aufgabe besteht darin, Wärme- und Kälteerzeugungsanlagen zu entwickeln, zu besitzen und zu betreiben und die Verteilung von Wärme und Kälte an die Endkunden zu steuern. Bring Energy ist mit Abstand die grösste Betreiberin von Wärmenetzen in Grossbritannien.

Worin bestehen die Vorteile von Wärmenetzen gegenüber individuellen Heizungssystemen? Und wie gehen Sie bei der Umsetzung vor?
Wärmenetze erschliessen kosteneffiziente Energiequellen in Städten, darunter auch Abwärme, was allen Rechnungszahlern zugutekommt. Wärmenetze senken die Gesamtkosten für die Systemtransformation, um Netto-Null zu erreichen, indem sie den Spitzenstrombedarf in den lokalen Stromnetzen reduzieren und mehr Stromkapazität für das Laden von Elektrofahrzeugen, Datenzentren und andere stromintensive Branchen zur Verfügung stellen. Städtische Wärmenetze können effektiv als grosse Wärmebatterien fungieren und den Stromnetzen Flexibilität verleihen.

Wenn jedes Gebäude über eine eigene Wärmequelle oder einen eigenen Heizkessel verfügt, bedeutet das pro Einheit einen weitaus grösseren Wartungsaufwand, als wenn die Wärme/Kälte über ein Wärmenetz in die Gebäude gelangt. Ein weiterer Vorteil von Wärmenetzen ist, dass die Wärmelasten flexibel an die unterschiedlichen Anforderungen eines jeden Gebäudes oder jedes Hauptnutzers zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten angepasst werden können, da sie nicht nur Wärme speichern, sondern auch die Wärmelasten und damit den für die Wärmeerzeugung benötigten Strom regeln. Tatsächlich können Wärmenetze ähnlich wie Batteriespeicher genutzt werden und die Lasten eines Verbundsystems optimieren.

Es ist klar, dass man zur Verteilung der Energie auch ein entsprechendes Rohrleitungssystem benötigt. Bring Energy besitzt diese Infrastruktur in allen grossen Städten, in denen sie tätig ist. Unsere Wachstumsstrategie besteht darin, alle Gebäude entlang dieses Leitungssystems anzuschliessen und diese Leitungen zu verschiedenen Abzweigungen auszubauen, um die geografische Abdeckung des gesamten Wärmenetzes innerhalb einer Stadt zu erhöhen. Dazu ist auch die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden wichtig, um sich abzustimmen, welche Strassen zur Verlegung neuer Leitungen aufgerissen werden. Das ist eine
Herausforderung. Aber auch die Behörden und Gemeinden haben ihre Dekarbonisierungsziele, so dass wir mit unseren Anliegen praktisch offene Türen einrennen.

Dekarbonisierung – das grosse Thema unserer Zeit. Wie packen Sie es an?
Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Zurzeit betreiben wir unsere Wärme- und Kältenetze vor allem mit Gas; im Olympic Park auch mit Biomasse und Wärmepumpen. Andernorts bewegen wir uns in Richtung Elektrifizierung und Nutzung anderer kohlenstoffarmer Energie- und Abwärmequellen. Die Dekarbonisierung führen wir somit Schritt für Schritt durch. Wir entwickeln mit jedem unserer lokalen Behördenpartner entsprechende Roadmaps, abgestimmt auf die jeweiligen Bedürfnisse und Netto-Null-Ambitionen.

Wenn es darum geht, Gas zu ersetzen, bieten elektrische Wärmepumpen eine gute Möglichkeit. Die Energie für den Betrieb dieser Wärmepumpen stammt aus dem nationalen Stromnetz, das zurzeit durch die Einführung von Wind- und Solarenergie ebenfalls dekarbonisiert wird. Eine grosse Chance sehen wir auch im Bau von Datenzentren. Zwar verbrauchen sie selbst viel Energie, geben aber gleichzeitig viel Wärme ab. Es ist sinnvoll, diese Wärme zu nutzen und in unsere Netze einzuspeisen. Mit einer weiteren Form kohlenstoffarmer Energieerzeugung haben wir zum Beispiel in Coventry gute Erfahrungen gemacht, wo wir die Wärme aus einer Kehrrichtverbrennungsanlage nutzen. Jede Stadt hat ihre eigene Lösung für die Erzeugung und die Dekarbonisierung von Energie. Wir wollen jede mögliche Wärmequelle nutzen, um unsere Netze zu optimieren. Wir müssen flexibel sein, was wir wählen und wie wir es angehen. Unser Ziel ist es, unser gesamtes Netz bis in die 2040er Jahre oder wenn möglich bereits früher dekarbonisiert zu haben.

Richard Burrell
Städtische Wärmenetze können effektiv als grosse Wärmebatterien fungieren und den Stromnetzen Flexibilität verleihen.

Wo sehen Sie die grossen Herausforderungen auf dem Weg zu Netto-Null? Sind sie eher technologischer, finanzieller oder sozialer Natur? Und wie geht Bring Energy damit um?
Technologien zur Erzeugung von dekarbonisierter Wärmeenergie gibt es etliche. Doch wenn wir uns in Richtung Elektrifizierung bewegen wollen, ist die Stromnetzinfrastruktur eine der grossen Herausforderungen. Denn ihre Verfügbarkeit und Belastbarkeit ist ausschlaggebend dafür, dass die verschiedenen Technologien auch eingesetzt werden können.

Die zweitgrösste Herausforderung betrifft die finanziellen Kosten für den Endkunden. Die Umstellung von Gas auf kohlenstoffärmere Energiequellen ist zurzeit kostspielig. Das kann sich jederzeit ändern, doch bis dahin bleibt die grosse Frage: Wer trägt diese Kosten? Zwar gewähren Regierungen und lokale Behörden Zuschüsse, doch die Staatskasse ist nicht eben reichlich gefüllt. Investoren wiederum wollen für ihren Kapitaleinsatz eine Rendite sehen. Endkunden befürworten zwar eine dekarbonisierte Energie, sind höheren Tarifen gegenüber allerdings abgeneigt. Eine Dekarbonisierungs-Roadmap ist deshalb unerlässlich. Beginnen Sie mit denen, die es sich leisten können, höhere Tarife zu zahlen, also beispielsweise mit den grossen Unternehmen, und holen Sie die privaten Haushalte zu einem späteren Zeitpunkt an Bord, wenn einige der teureren Grundausstattungen installiert sind. – Hier spielt auch der soziale Aspekt eine Rolle; es geht um die soziale Verträglichkeit bei der Verteilung der Kosten, die bei der Dekarbonisierung anfallen. Und es geht um soziale Verantwortung.

Es ist ein Balanceakt zwischen staatlichen Unterstützungsmechanismen und höheren Tarifen. Der finanzielle Aspekt ist eine Herausforderung. Ideal wäre es, eine Technologie zu entwickeln, die billiger ist als Gas. Doch zurzeit sind in Grossbritannien die Preise für Gas unverhältnismässig viel niedriger als für jegliche andere Form der Energieerzeugung, weil externe Effekte wie Emissionen nicht vollständig eingepreist sind. Damit
sich dies ändert, bedarf es fiskalischer und staatlicher Interventionen, um die Stromkosten für Wärme mit der aus Gas produzierten Wärme auszugleichen.

Unsere Strategie ist es, mithilfe der erstellten Roadmaps schrittweise vorzugehen und Kunde um Kunde zu dekarbonisieren, so dass wir in den nächsten 10, 15 Jahren unser Netto-Null-Ziel erreichen.

Nehmen wir als konkretes Beispiel den Olympic Park in London. Dort liegt der Gasverbrauch zurzeit bei etwa 85%. Bis 2035 soll vollständig auf Elektrizität und Biomasse umgestellt werden. Das klingt sehr ambitioniert. Wie gehen Sie vor?
Es ist in der Tat äusserst ambitioniert, aber die London Legacy Development Corporation und unsere lokalen Behördenpartner sind an dem Projekt sehr interessiert. Wir haben eine sehr gut ausgearbeitete Roadmap, und die Behörden unterstützen uns. Trotzdem, ich stimme Ihnen zu, es ist ehrgeizig. Unabhängig davon, ob wir unser Ziel im Jahr 2030, 2035 oder 2040 erreichen, das Wichtigste ist, dass wir eine gemeinsame Roadmap haben, zu der sich alle verpflichten. Die zentrale Frage ist, ob wir neben Wärmepumpen auch andere kohlenstoffarme Energiequellen wie Abwärme aus Datenzentren und Wärme aus Kehrrichtverbrennungsanlagen erschliessen können. Ich denke also, dass Ihre Skepsis richtig ist. Aber wir haben einen Plan, und die lokalen Behörden stehen hinter diesem Plan. Wir werden ihn so schnell wie möglich umsetzen. Doch die Dekarbonisierung ist eine Herausforderung, und bei den aktuellen Gaspreisen und den steigenden Lebenshaltungskosten, die die Menschen beunruhigen, ist es eine besondere Herausforderung. Aber das ist derzeit ein Faktor in der gesamten Branche der erneuerbaren Energien. Und man muss realistisch sein.

Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Nun, mein unmittelbares Ziel ist es, in unseren Städten so viele Menschen und Unternehmen wie möglich und so schnell wie möglich an unsere bestehenden Wärmenetze anzuschliessen, unabhängig davon, ob dekarbonisiert oder nicht. Gleichzeitig wollen wir zusätzliche Rohrleitungen verlegen, um weitere Kunden anzuschliessen. Wir wollen in neue geografische Gebiete expandieren, die an unsere bestehenden Standorte angrenzen, und damit mehr potenzielle Kunden erreichen. In diesen neuen Regionen und Städten können wir neue Anlagen für die Erzeugung kohlenstoffarmer Energie bauen. Und da wir keine Altlasten durch kohlenstoffemittierende Generatoren haben, können wir vom ersten Tag an kohlenstoffarme Energiequellen nutzen.

Unsere Wachstumsstrategie ist auf drei Ziele ausgerichtet: mehr Kunden an unsere bestehenden Netze anschliessen, unsere bestehenden Netze erweitern und unsere Energieerzeugung wo immer möglich
dekarbonisieren.

Gibt es bereits Pläne, auf den Kontinent zu expandieren?
Im Moment haben wir genug Möglichkeiten und genug zu tun hier in Grossbritannien. Ich würde niemals nie sagen, aber die Wachstumschancen in Grossbritannien sind enorm. Denn dieses Land hat traditionell ein kohlebasiertes Heizsystem, in dem alle einen Kamin in ihren Häusern und Büros hatten. Davon entfernen wir uns. In den Innenstädten gibt es bereits Emissionsvorschriften. Wenn Sie also in einem Mehrfamilienhaus in einer Grossstadt leben, haben Sie vielleicht einen falschen Kamin, aber keinen im traditionellen Sinn. Und genau darin liegt die Chance für Wärme- und Kältenetze. Es ist ein Markt, der stark wächst.

Würden Sie sagen, dass Bring Energy Menschen dabei unterstützt, ein selbstbestimmtes,
nachhaltiges Leben zu führen?
Absolut. Wir würden weder in der Zukunft noch jetzt existieren, wenn wir es unseren Kunden und Interessengruppen nicht ermöglichen würden, selbstbestimmt von der nachhaltigen Energieerzeugung zu profitieren. Wir können mit den vorhandenen Netzen dekarbonisierte und nachhaltige Energiequellen nutzen und anbieten. Die Antwort auf Ihre Frage ist ein sehr klares Ja.

Im Januar 2024 hat Swiss Life Asset Managers den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung am britischen Fernwärmeportfolio von Bring Energy abgeschlossen und unterstützt das Wachstum und die Dekarbonisierungsziele des Unternehmens.

Swiss Life Asset Managers verfügt über einen langen Anlagehorizont in Infrastruktur und verbindet Branchenwissen mit Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit.

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